Kollektiv

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Mario Mentrup


IM KOLLEKTIV EINE HERDE JAGEN ODER FISCHEN GEHEN,….


…fiel mir zu allererst ein, was so das kollektive Arbeiten betrifft. Ansonsten hatte ich einen Widerwillen, mich weiter mit diesem Thema auseinanderzusetzen, weil Gemeinschaft vieles „gemein“ macht, und flächendeckend ja gerade das „Ego“ und der „Narzissmus“ zum Public Enemy No.1 erklärt wird, während Cooperations wie Musik- und Film-Streamingdienste das „Kollektiv“ der Endverbraucher beglücken, aber dabei jegliches Autorentum nahezu leer ausgehen lassen, zumindest von der Kollekte her. Dafür gibt es die Möglichkeit, für 15 Minuten ein Star zu sein, und Direct Messages von Hörern oder Viewern, die, beim Konsumieren via iPhone, dem Urheber dessen, was sie gerade so abspielen, mal eben eine völlig belanglose Frage reinschieben. Aber den ersten Impuls hatte ich schnell überwunden.

Ich beginne mit ein paar Worten von Pedro Costa. Pedro Costa skizziert in einem Interview für MUBI/Notebook von David Jenkins im Jahre 2013, „Some Violence is required“, kurz eine Idee, wie es (für ihn) möglich wäre, unter Bedingungen zu arbeiten, die das Filmemachen erleichtern würden:

COSTA: The problem is that—and not a lot of colleagues agree with this—I would like to have a system that grounds me. A system where people are not called artists. Mr. Hawks, Mr. Ford, Mr. Tourneur, Mr. Ulmer, Mr. Fleischer. They were not artists. They worked their hours. They were grounded by this thing and that thing. That's what I wanted to create.

NOTEBOOK: You would like your own studio system?

COSTA: A studio, a factory, a system. I know it's bad and it's awful but… I want a factory with communist relations. A place where you can make shoes, candy and films. The Soviet dream. A small TV station for the neighbourhood. Warhol's TV. It could be that. It could be underground.

NOTEBOOK: These tend to be the things that movies are made about.

COSTA: Absolutely. It's exactly that. It's being alone, and then trying to get away from your loneliness in every way: social, psychological, economic.

Pedro Costa wünscht sich also eine kleine Fabrik, und er will industriell arbeiten. Und er möchte im Kollektiv arbeiten.

KNOCHEN=GIRL. DIY Noise-Krautrock-Bandprojekt mit Mario Mentrup. Foto: Jörg Düselder

Costa ist fast 10 Jahre älter als ich, aber seine filmischen Referenzen sind meinen sehr ähnlich, und sein Denken und Handeln ist vom Punk genährt. Ich war ein wenig zu jung für Punk, aber alt genug für Post-Punk und dessen Do-it-yourself Programmatik. Auch die Hochphase der Independent-Kultur von den 1960er- bis zu den 1990er-Jahren hat mein Wirken geerdet, anders gesagt: die Idee Costas’ ist mir sehr nahe.

Für die Programmatiken meiner bisherigen Theaterinszenierungen sowie meiner Filme würde ich noch die Produktionsweise von dem frühen Roger Corman hinzufügen, der es in den 1960er-Jahren schaffte, innerhalb von 10 Tagen mit einer Cast, einem Team zwei Spielfilme in einem Setting zu drehen.

Am besten und gleichzeitig für alle Beteiligten am befriedigendsten und schönsten waren eben solche Produktionen, die von uns in 10 bis 15 Tagen geprobt bzw. gedreht wurden.

"Prisoner of Love". Ein Film von Nicolas Siepen, Claudia Basrawi, Alessio Bonaccorsi

Im Team mit Claudia Basrawi, einer Autorin, Theatermacherin und Schauspielerin (u. a Hauptrollen in Filmen der „Kölner Gruppe“: DIE QUEREINSTEIGERINNEN, WEISSE RITTER) habe ich inzwischen schon mehrere Male als Schauspieler sowie eben auch als Regisseur und Co-Autor gearbeitet. Basrawi hat des Öfteren betont, besonders wenn wir wieder vor einer langen Proben- und Produktionszeit standen, dass die kurzen, schnell abgefertigten Stücke sehr gut liefen, bei uns, dem Team und auch beim Publikum. Für so einen Zeitplan muss alles gut vorbereitet, der Rahmen abgesteckt sein, so bleibt sogar noch die Zeit für Experimente, Launen, Diskussionen, um dann in der heißen Endphase von allen Beteiligten ein kollektives Zusammenspiel zu bekommen.

Es hat mit Punk zu tun oder Noise-Rock. Oder eben auch mit Kraut, dem deutschen Pop-Exportartikel der 1970er-Jahre, aber auch mit dem Wummern von Disco und Glam-Rock, dem Prototypen für Punk. Claudia Basrawi und ich haben eben beide die End-1970er-Jahre und die ganzen 1980er sowie frühen 1990er-Jahre sehr viel gelebt und gewirkt mit den ad hoc zusammen gepeitschten Hooklines für unsere Postpunk-Songs, der intensiven Probewoche der Noise-Rock Band vor der Konzert-Tour, den spontanen Showeinlagen in den von uns geführten Bars, weil der gebuchte Act ausgefallen war.

Was für uns gut ist, muss nicht für andere gut sein, okay, kann man jetzt einwenden. Stimmt. Aber wir suchen uns ja auch die Beteiligten unseres „Studiosystems“ aus. Wichtig: Hier fühlte sich niemand ausgebeutet, weil a.) hohe Frequenz= Erlebnis, b.) es gab in den meisten Fällen Honorare.

Was mir, das fällt mir hier gerade ein, nicht gefällt, sind Formate, die kollektive Energien extrem einfordern und mit der Blauäugigkeit junger Menschen bzw. von Gutgläubigen rechnen: Da wäre das Format „immersives Theater“, ein Theater, das die Partizipation der Besucher provozieren will und die Schauspieler und Crew mit Codeworten (wie bei Sadomaso-Spielen) bestückt, damit diese sich vor zu riskanten Situationen mit dem Publikum oder mit Spielpartnern schützen können.

Meine Erfahrungen als Schauspieler, sind in diesem Fall, dass man zu leicht zu einem Spielball für die Einfalt der Zuschauerströme wird, und dass das meist unvergütete Team unter Insomnia und physischen wie psychischen Schmerzen leidend, hirn- und sonst wie verbrannt das Geschehen verlässt, aber das Branding der Theatercompany noch erfolgreicher wird. Da wäre noch das Format: Multimediainstallation mit viel Technik, Theorie und Theater. Ähnlich wie beim „immersiven Theater“ gibt es immer den Boss bzw. die Bosse und deren obligatorische Branding-Konzepte. Hier habe ich erleben dürfen, wie junge Anarcho-Kids und gutgläubige Nerds sich regelrecht verarschen ließen für die theoretisch „coole“ und kollektive Sache und bereit waren, sich kaputt zu schuften ohne Tagesgehalt, für eine Matratze im Gemeinschaftsraum sowie eine nicht sättigende Tagesmahlzeit, obwohl, aber niemanden schien das erst einmal zu interessieren, das Budget dieses Projektes in die Millionen ging. Am Ende war dann das Geschrei groß.

Meinem Team und mir als Regisseur, der ich eingewilligt hatte, für die Multimedia-Installation eine theatrale Inszenierung beizusteuern, stand in der Hauptprobenzeit am Set dann eine geballte Ladung an Mobjustiz und Paranoia entgegen. Kein Wunder. Denn als wir kamen, lagen beim Kollektiv, dass sich schon Wochen vor uns kaputt malocht hatte, die Nerven blank. Wir, die wir, bei unserer Ankunft, Zimmer mit Betten eingefordert hatten, so wie es im Vertrag stand, waren jetzt kollektiv Unheilige. Später mussten wir Regisseure und Autoren der Inszenierung sogar noch unsere Gagen einklagen. Es schien niemanden der Computerfreaks, der Grafiker, der Bastler zu interessieren, dass wir alle eigentlich für eine staatliche Kultur-Veranstaltung mittels EU-Geldern arbeiteten. Alle schienen Gehirngewaschen genug, zu wünschen, dass alle gleich mies bezahlt und behandelt werden sollten. So Sozialismus auf doof, die Riesentüte Geld im Hintergrund trotzend.

Da war doch was mit Kommunismus?

Zurück zu der Idee Pedro Costas. Er visioniert ein Studiosystem, eine Industrie, also bezahlte Arbeit und zwar beständig, im Akkord, um ein gemeinsames Erleben zu schaffen.

Weil er nicht an den Nadeln der Förderkultur- Spritzen hängen bleiben möchte.

Volker Sattel, mit dem ich meine bisherigen Regie-Arbeiten teile, erzählte mir letztes Jahr, dass Costa bei einem Gespräch vor DFFB- Studenten so erschien, als dass er unter diesem Debakel sichtlich leiden würde.

Szenenfoto aus "Stadt des Lichts". Regie: Mario Mentrup, Volker Sattel.

Volker Sattel und ich haben es bisher nicht geschafft, Förderungen einzuheimsen. Wir haben es aber auch nicht oft versucht. Wir haben einmal für eine Company einen Doku- Film gemacht, um dann mit dem Geld und mit dem gleichen Team im Akkord einen Spielfilm an 15 Tagen zu drehen; also mit dem Doku-Filmdreh waren es insgesamt 25 Drehtage. Zwei Filme waren dadurch im Jahr 2016 entstanden. Für den Film „Ich begehre“ hatten sich Volker Sattel und ich, (wie Pedro Costa es oft tut) das Filmemachen eines Edgar Ulmer oder Monte Hellman zum Vorbild genommen: nämlich vornehmlich im Freien zu drehen, fernab von Location-Kosten. Die Innenaufnahmen in einer Villa ließen wir uns von dem Budget für die Arbeit von der Company erstatten. Story, Plot, Drehortwechsel, Darsteller-Riege, Team waren hochökonomisch für das Micro-Budget und die geringe Zeit durchgetaktet. Die Zelebration der Natur und der Physis, die sich zwischen Kamera, Szenerie, Schnitt und den Darstellerkörpern ergeben kann, machte aus „Ich begehre“ einen modernen Western, der dem Zuschauer ein kinematografisches Erleben ermöglicht und er ist kein pupsig wirkender Billigstreifen.

Pasadena Projekt (Musik/Theater): Mario Mentrup (Regisseur), Claudia Basrawi (Schauspielerin), Volker Sattel (Regisseur) und Stephan Machac (Theaterleiter, Düsseldorfer Filmkunstkinos)
Szenenfoto aus "The Animals". Regie: Kerstin Cmelka, Mario Mentrup

Diese Dreherfahrung ließ mich der Künstlerin Kerstin Cmelka ein ähnliches Prinzip vorschlagen, als sie mit den Drehbuch- und Produktionsvorbereitungen für ein Kurzfilm-Projekt begann. Volker Sattel machte wieder Kamera, wir drehten fünf Tage, diesmal nur an einem Ort und diesmal Innen, mit einem Mini-Team und einem kleinen Schauspieler-Ensemble. Ich war als Schauspieler angeheuert worden. Cmelka hatte vorbereitend einen straffen Plot und Ortswechsel innerhalb der Location sowie mögliche Experimente und Spontansituationen in dem Script erarbeitet. Und so wurde aus einem geplanten Kurzfilmprojekt der abendfüllende Spielfilm: „The Animals“. Mit den Mitteln der Videokunst und der Filmförderung sowie Eigenkapitalbeteiligung seitens der Künstlerin legten wir den Focus mehr auf die Vergütung und Verköstigung der Beteiligten, als auf die Technik (Auch ein nicht unwesentlicher Missstand in vielen Produktionen: der Technikfetischismus und damit Promotion für die Firmen.) Da Cmelka selber auch vor der Kamera agierte, überließ sie Volker Sattel und mir, der ich dann Co-Regisseur für diesen Film wurde, einige Szenen zu inszenieren. Diese kollaborative Form beeinflusste die Arbeit eines jeden Team- und Ensemble-Mitglieds: Es wurde eine kollektive Erfahrung und Arbeit, eine Arbeit im Fluss.

Und jetzt auf zu einem Studio a la Costa. Also neben den Filmen werden u. a. Schuhwerk, Süßigkeiten und Fitness-Sessions produziert. Wäre spitze.

Weiterführende Links

Website von Mario Mentrup

http://www.mariomentrup.com/


Website der Filmproduktion Vakant Films (Mentrup/Sattel)

http://vakantfilm.blogspot.de/